livre 3D The General Theory of Relativity

 

 

Magna Charta der modernen Physik


von Hanoch Gutfreund

 

 

Die wichtigsten Dokumente der Menschheitsgeschichte und die Briefwechsel berühmter Persönlichkeiten sind meist nur in gedruckter Form erhältlich. Doch auch die handschriftlichen Originalmanuskripte strahlen einen besonderen Charme aus und vermitteln einen gleichermaßen emotionalen wie auch ästhetischen Anspruch. Als wichtige Kulturgüter werden sie in Museen und Ausstellungen präsentiert und von Sammlern im Rahmen öffentlicher Auktionen ersteigert. Sie stellen eine unmittelbare Verbindung zu ihren Verfassern her und ermöglichen Einblicke in ihren Entstehungsprozess. So vermitteln sie uns einen Eindruck ihrer Entstehungsgeschichte. Dies ist einer der Hauptgründe, weshalb SP Verlag hochwertige Faksimile-Editionen von Manuskripten der größten Denker der Weltliteratur auflegt. Mit der aktuellen Publikation von Albert Einsteins Meisterwerk wird der Katalog bereits veröffentlichter Meilensteine der Kulturgeschichte um ein wegweisendes Werk ergänzt, das unser Verständnis der physischen Welt erweitert hat.

Das hier produzierte Manuskript markiert den Endpunkt der intellektuellen Odyssee Einsteins auf dem Weg zur Allgemeinen Relativitätstheorie. Mit dieser Theorie wollte er seine bereits im Jahre 1905 formulierte Theorie der Gravitation auf eine allgemeine Grundlage stellen. Denn diese konnte zwar elektrische und magnetische Phänomene erklären, nicht jedoch die Gravitation. Zudem war sie auf Bewegungen bei konstanter Geschwindigkeit beschränkt. Einsteins erklärtes Ziel war es jedoch, auch beschleunigte Bewegungen in seine Theorie aufzunehmen. 1907 begann er mit der Arbeit, nachdem er das Zusammenwirken von Beschleunigung und Gravitation erkannt hatte. Seine Forschungsarbeit durchlief wechselnde Phasen brillanter Erkenntnisse und Erfolge, auf die nur allzu oft Irrwege, Missverständnisse und Fehlschläge folgten, bis schließlich alle Puzzleteile an ihrem Platz waren. Im November 1915 stellte Einstein seine Theorie im Rahmen von vier wöchentlich stattfindenden Konferenzen der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften vor. Nach jeder der ersten drei Vorträge stellte er fest, dass weitere Verbesserungen nötig waren. Am 25. November war er sich schlussendlich sicher, dass er endlich die richtige Formel gefunden hatte. Er war in bester Stimmung und brachte gegenüber seinen Freunden und Kollegen in Briefen die Freude über seine Leistung zum Ausdruck. Dem bekannten Physiker Hendrik Antoon Lorentz, mit dem er sich während der Entwicklung seiner allgemeinen Theorie regelmäßig auf dem Postweg austauschte, schrieb er: „Die Serie meiner Gravitationsarbeiten ist eine Kette von Irrwegen, die aber doch allmählich dem Ziele näher führten. Daher sind nun endlich die Grundformeln gut, aber die Ableitungen abscheulich; dieser Mangel muss noch beseitigt werden.“ Ohne die von ihm als unvermeidbare erachtete Komplexität auszuräumen, formulierte er eine ausführliche Zusammenfassung der neuen Theorie unter dem Titel „Die Grundlage der allgemeinen Relativitätstheorie“, die in den Annalen der Physik, der führenden Fachzeitschrift jener Tage, am 11. Mai 1916 veröffentlicht wurde.

Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie ersetzte die Relativitätstheorie von Newton, bei der die terrestrischen und planetaren Bewegungen zusammengeführt werden. Die Newtonsche Theorie erklärte, weshalb Gegenstände auf den Boden fallen und Planeten ihre Umlaufbahnen um die Sonne beibehalten. Sie wurde zur Grundlage einer umfassenden physikalischen Weltsicht, die im 18. und 19. Jahrhundert Gestalt annahm. Doch die Theorie von Newton wies einen grundlegenden Mangel auf: Es blieb unklar, wie die Gravitationskräfte zwischen weit voneinander entfernten Massen ohne­ eine zwischengeschaltete ­Vermittlungsstelle zusammenwirken. Newton war sich dieses Mangels zwar durchaus bewusst, fand aber keinen Weg, ihn auszuräumen. In Einsteins Theorie existiert dieses Problem nicht mehr, denn hier ist die Gravitation keine Kraft, sondern eine geometrische Eigenschaft des Raums (bzw. der Raumzeit), der diese Massen umgibt. Seiner Theorie zufolge handelt es sich bei der Gravitation also um die Geometrie der Raumzeit. Eine beinahe schon poetische Umschreibung des Kerns der Allgemeinen Relativitätstheorie von Einstein lautet: Die Materie bestimmt, wie sich der Raum krümmt und der gekrümmte Raum bestimmt, wie sich die Materie bewegt. Die Theorie selbst und ihre Aussage wird in einer hochkomplexen mathematischen Formel abgebildet. Sie wird bestechend einfach auf Seite 33 des Manuskripts (Gleichung 53) zusammengefasst, die auch als Feldgleichung bezeichnet wird.

In seinem Artikel von 1916 sagt Einstein voraus, dass das von entfernten Sternen stammende Licht vom Gravitationsfeld der Sonne gekrümmt wird. Als diese Vermutung im November 1919 durch astronomische Beobachtungen bestätigt werden konnte, erlangte Einstein über Nacht weltweite Berühmtheit. Diesen Status behielt er bis zum Ende seines Lebens. Eine weitere Vorhersage des Artikels lautet, dass die Zeit auf der Erde langsamer verstreicht als im Weltraum, wo die Gravitation deutlich schwächer ist. Wäre uns dies heute nicht bekannt und wüssten wir nicht, wie man diesen Umstand bei der Messung des Zeitraums berücksichtigt, den der Weg eines Lichtsignals von einem Satelliten zur Erde benötigt, gäbe es heute unter anderem keine derart präzise GPS-Technologie.

Kurz nach der Veröffentlichung seines Artikels erkannte Einstein, dass sich seine Theorie auch auf das Universum als Ganzes anwenden lässt. Diese Erkenntnis markiert den Beginn der relativistischen Kosmologie. Über die Jahre entwickelte sich Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie zu einem Grundpfeiler der modernen Physik und erlangte bei der Untersuchung von Problemen rund um die Ursprünge, die Entwicklung und den Aufbau unseres Universums große Bedeutung. Eines dieser Probleme betrifft die Ausdehnung des Universums. Laut Allgemeiner Relativitätstheorie begann diese mit einem singulären Ereignis, dem Urknall. Anschließend setzte demnach eine immer schnellere Ausdehnung ein. Auch die spätere Entstehung von Galaxien und die Synthese der chemischen Elemente und der grundlegenden Bestandteile der Materie werden heute nach Maßgabe der Allgemeinen Relativitätstheorie untersucht. Ein anderes Problem betrifft die schwarzen Löcher, deren Existenz und besondere Eigenschaften die Theorie bereits vorwegnimmt. Die Allgemeine Relativitätstheorie sagte auch die Existenz von Gravitationswellen voraus, die sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten, durch die abrupten Bewegungen von Materie verursacht werden und etwa beim Kollaps massiver Sterne und der Entstehung schwarzer Löcher oder beim Zusammenprall zweier schwarzer Löcher entstehen. Diese Wellen führen dazu, dass sich der von ihnen durchquerte Raum zusammenzieht oder ausweitet. Tatsächlich wurden erst kürzlich Gravitationswellen nachgewiesen, die uns neue Einblicke in das Universum eröffnen.

 

page du manuscrit d'Einstein

 
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Die Erkennung und Erforschung dieser und ähnlicher Phänomene sind zwar spätere Entwicklungen, ihr Ursprung liegt aber in dem hier vorgelegten Manuskript und insbesondere in der oben genannten Gleichung 53.

Zu Beginn seiner Karriere war sich Einstein der Tragweite seiner schriftlichen Arbeiten noch keineswegs bewusst und entsorgte seine Manuskripte meist unmittelbar nach der Veröffentlichung seiner Artikel. Deshalb ist heute keine seiner Handschriften zu seinen wegweisenden Artikeln aus dem „Wunderjahr“ 1905 erhalten. Und doch existiert eine handschriftliche Fassung seines bahnbrechenden Artikels aus dem Jahre 1905 über die spezielle Relativitätstheorie mit dem Titel „Zur Elektrodynamik bewegter Körper“. 1944 reproduzierte Einstein den Artikel handschriftlich als Unterstützung des amerikanischen Engagements im Zweiten Weltkrieg. Die Handschrift wurde versteigert und für 6,5 Mio. Dollar verkauft. Heute wird sie in der Library of Congress verwahrt. Auch zehn Jahre nach der Veröffentlichung seiner speziellen Relativitätstheorie kümmerte sich Einstein kaum um die Aufbewahrung seiner Manuskripte. Seine Frau Elsa erkannte jedoch deren Wert. Ihr verdanken wir es, dass das Manuskript zu den Grundlagen der Allgemeinen Relativitätstheorie heute überhaupt noch existiert. Seine Rettung und Überführung in die Hebräische Universität von Jerusalem im Jahr 1925 zu deren Eröffnung ist für sich genommen eine komplizierte Geschichte, deren Einzelheiten nur wenigen Eingeweihten bekannt sind.

Offenbar übergab Einstein das Manuskript an seinen Freund, den Physiker und Astronomen Erwin Freundlich, mit dem er an Beobachtungsverfahren zur Überprüfung der von seiner Theorie prognostizierten Phänomene arbeitete. Mit seinem Geschenk wollte Einstein den Bau des Einsteinturmes in Potsdam finanzieren, in dem die Untersuchungen durchgeführt werden sollten. 1921 verschlechterte sich jedoch das Verhältnis zwischen den beiden Kollegen, und Freundlich gab das Manuskript im April 1922 an Einstein zurück. Anschließend beauftragte Einstein den Industriellen und Wissenschaftsphilosophen Paul Oppenheim mit dem Verkauf des Manuskripts und erteilte ihm dazu die folgenden Anweisungen: „... die Hälfte des Erlöses erhält die jüdische Universität in Jerusalem, verfügen Sie in der Weise, wie es Ihnen Ihr Gewissen vorschreibt.“ Doch Oppenheim war mit beiden Konkurrenten befreundet und wollte sich nicht an ihrem Disput beteiligen. Im Juli 1923 bat Einstein Heinrich Loewe, ein angesehenes Mitglied der Vorbereitungskommission der Jüdischen Nationalbibliothek in Jerusalem, das Manuskript zu verkaufen. Und wieder gab er ihm detaillierte Anweisungen mit auf den Weg, wie der Verkaufserlös verwendet werden sollte.

Doch auch dieses Mal wurde das Manuskript nicht verkauft. Das entnehmen wir dem Briefwechsel zwischen Einstein und seiner Frau Elsa, als der Forscher im Jahr 1925 eine zweimonatige Reise nach Südamerika antrat. In einem seiner Briefe schrieb Einstein: „... die Hälfte des Erlöses erhält die jüdische Universität in Jerusalem, verfügen Sie in der Weise, wie es Ihnen Ihr Gewissen vorschreibt.“ Als er diesen Brief schrieb, wusste er noch nicht, dass sich das Manuskript bereits auf dem Weg nach Jerusalem befand. Elsa hatte es einem Vertreter des Direktoriums der Universität von Jerusalem übergeben. Die Quittung besagt, dass 2000 Mark in die Arbeit von Professor Freundlich fließen sollten und 400 Mark an Frau Einstein für wohltätige Zwecke zu übergeben seien. Als Albert Einstein davon erfuhr, schrieb er Elsa erleichtert: „... die Hälfte des Erlöses erhält die jüdische Universität in Jerusalem, verfügen Sie in der Weise, wie es Ihnen Ihr Gewissen vorschreibt.“ Zum damaligen Zeitpunkt war Einstein stark am Aufbau der Hebräischen Universität in Jerusalem beteiligt und als Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats Mitglied des Direktoriums.

Seit der Eröffnung der Hebräischen Universität am 1. April 1925 befindet sich das Manuskript im Besitz der Universität. Obwohl einzelne Seiten bereits im Rahmen von Ausstellungen in aller Welt präsentiert wurden, wurde das vollständige Manuskript der Öffentlichkeit jedoch nur ein einziges Mal, anlässlich des 50. Jubiläums der Israelischen Akademie für Geistes- und Naturwissenschaften im Jahr 2011, vorgestellt. Jede einzelne seiner 46 Seiten wurde bei gedimmtem Licht in einer Vitrine ausgestellt. Es zog viele interessierte Besucher an. Das Albert-Einstein-Archiv der Hebräischen Universität enthält viele Manuskripte dieser Art. Derzeit werden sie im Rahmen des Einstein Papers Project von Wissenschaftshistorikern des California Institute of Technology gesichtet und editiert. So ergeben sich wertvolle Einblicke, wie in den prägenden Jahren der modernen Physik geforscht wurde. Das hier vorgelegte Manuskript zählt dabei zu den wertvollsten Schriften überhaupt. Es wird daher auch gerne als „Magna Charta“ der modernen Physik bezeichnet.

 

 

 

© SP Verlag / Hanoch Gutfreund, 2019

 

 

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